Zeit für Gespräche: 11 Fokusgruppen zum Thema Notübernachtungen (2023)
Zeit für Gespräche – Fokusgruppen
Während der „Zeit für Gespräche“ 2022 haben wir 207 EinzeIgespräche mit obdachlosen Menschen geführt bei denen wir sie allgemein zu ihren Erfahrungen, Problemen, Wünschen und politischen Forderungen zum Thema Obdachlosigkeit befragt. Die Ergebnisse der Befragungen wurden in einem Bericht vom Januar 2023 zusammengefasst. Während dieser Einzelgespräche wurde deutlich, dass die mangelnde Qualität der Notunterkünfte und die ungünstigen Bedingungen im Hilfesystem oft ein Problem darstellen. Die Antworten haben uns dazu veranlasst, das Thema der Notübernachtungen weiter zu erforschen. Mithilfe von Fokusgruppen-Gesprächen wollten wir Meinungen, Erfahrungen und Verbesserungsvorschläge von obdachlosen Menschen bezüglich der Notübernachtungen Berlins sammeln.
Überblick
Ziele: Erfahrungen und Verbesserungsvorschläge sammeln; interessierte obdachlose Menschen kennenlernen und ihnen die Mitarbeit und Teilnahme an der Union für Obdachlosenrechte Berlin anbieten.
Zeitraum: Februar – Mai 2023
- 11 Fokusgruppen
- 9 Standorte der Wohnungsnotfallhilfe (Tagesstätten, Arztpraxen, Suppenküchen)
- 43 Menschen* befragt, davon:
- 10 Frauen
- 8 junge Menschen (U27)
- 29 Menschen ohne Deutschkenntnisse
- 2 Menschen mit erheblichen körperlichen Einschränkungen
- 2 Menschen mit Hunden auf der Straße
- 1 offen queere Person
*überwiegend Menschen mit Erfahrung von Notübernachtungen, aber auch einige Nicht-Nutzer:innen, die Notübernachtungen aus bestimmten Gründen vermeiden.
Standorte der Fokusgruppen Gespräche:
- Klik e.V. (zwei Mal)
- Suppenküche Franziskanerkloster (zwei Mal)
- TagesTreff für Wohnungslose und Bedürftige
- Tagesstätte für Wohnungslose „Am Wassertor“
- Seeling Treff
- StreetWorkstatt Straßenkinder e.V.
- Ambulanz der Berliner Stadtmission
- Praxis am Stralauer Platz
- Frauentreff Olga
Rahmen und Ablauf
Durchführung durch eine Leitung (Gesprächsführung) und eine Assistenz (Ergebnissicherung auf Flipchart), vom Team „Zeit der Solidarität“ oder Freiwillige des Projekts.
Sprachbarrieren durch Dolmetscher:innen bei Bedarf aufgehoben, für folgende Sprachen: Bulgarisch, Englisch, Polnisch, Rumänisch, Russisch.
Nach dem Gespräch das Angebot eines kleinen Geschenks als Dankeschön, z.B. Socken, Hygieneartikel und Infoflyer.
Ablauf eines Gesprächs:
- Vorstellungsrunde
- Erläuterung der Ziele und des Ablaufs
- Stellung der drei Fragen und Diskussion dazu:
- Haben Sie schlechte Erfahrungen mit den Notübernachtungen
in Berlin gemacht? Wenn ja, welche? - Können Sie positive Erfahrungen erwähnen?
- Was für Verbesserungsvorschläge bezüglich der
Notübernachtung Einrichtungen für die Mitarbeitenden und
Leitungen haben Sie?
- Haben Sie schlechte Erfahrungen mit den Notübernachtungen
- Zusammenfassung der protokollierten Äußerungen
- Feedback von Teilnehmenden
- Austausch von Kontaktdaten, wenn gewünscht
- Angebot der Geschenke und Flyer
Ergebnisse
Positive Erfahrungen mit Notunterkünften werden nur wenig geäußert (33% der bewertenden Äußerungen und 15,5% aller Äußerungen). Entsprechend deutlich im Vordergrund stehen die negativen Äußerungen, die dreimal so häufig gemacht werden wie positive (302%) und einen Anteil an den Gesamtäußerungen haben von 75%. Sehr begrüßenswert ist die große Anzahl von Vorschlägen/
Forderungen.
Die vergleichsweise wenig positiven Äußerungen:
- Das gute Personal macht etwa ein Viertel der positiven Äußerungen aus.
- Der Gesamteindruck, Berlin/ Deutschland „kümmere“ sich, bildet jede fünfte positive Äußerung.
- Die Grundversorgung (Essen, Schlafen, Duschen) wird ebenfalls positiv wahrgenommen.
Die insgesamt überwiegenden negativen Äußerungen:
- Mit großem Abstand am häufigsten wird negativ von Erfahrungen mit dem Personal berichtet. Damit hängen auch 2. und 3. zusammen:
- Atmosphäre im Haus, Willkürlichkeit/ Undurchschaubarkeit von Hausregeln und Einlasskriterien bzw. -management.
- Der Umgang bzw. das Überfordertsein mit gesundheitlichen Problemen (insbesondere psychischen).
Die häufigsten Vorschläge/ Forderungen sind:
- Das Personal soll qualifiziert und auch besser bezahlt werden.
- Die Einrichtungen sollten unterscheidbare Profile entwickeln, Schwerpunkte herausbilden, sich spezialisieren.
- Die Öffnungszeiten sollten erweitert werden.
Diese Ergebnisse sind ein alarmierender Beleg für die Notwendigkeit der Verbesserung der Qualität der Notübernachtungen in Berlin. Die Fokusgruppen-Gespräche zeigen auch, wie wichtig es ist betroffene Menschen nach ihren Erfahrungen zu fragen und ihre Verbesserungsvorschläge in die Qualitätsentwicklung aufzunehmen. Sie sind daher auch Beleg für den Bedarf einer Selbstvertretung wie die Union für Obdachlosenrechte (UfO Berlin), um die vielen genannten Vorschläge und Forderungen an die Entscheidungsträger:innen der Wohnungsnotfallhilfe heranzutragen.
Zusammenfassender Bericht
Wir beauftragten Dr. Klaus Mucha für die Auswertung der Protokolle. Dr.phil. Mucha arbeitet als Diplom-Psychologe in Berlin und bundesweit in verschiedenen Praxisfeldern: Beratung, Psychotherapie und Hochschulen. Bei „Zeit für Gespräche“ engagiert er sich ehrenamtlich, war bei einzelnen Fokusgruppen-Gesprächen als Assistenz-Person im Einsatz und ist Mitglied im Fachbeirat.
In unserem zusammenfassenden Bericht legen wir die Ergebnisse dieser ersten „Zeit für Gespräche“-Fokusgruppen mit obdachlosen Menschen zum Thema Notübernachtungen vor.