Zeit für Gespräche – Fokusgruppen
Im Rahmen des Projekts „Zeit für Gespräche“ wurden letztes Jahr individuelle Gespräche mit 207 obdachlosen Menschen in Berlin geführt. Sie berichteten in diesen Gesprächen von ihren Erfahrungen, Problemen, Wünschen und politischen Forderungen zum Thema Obdachlosigkeit.
Während der Interviews wurde deutlich, dass die Qualität der Notunterkünfte und die ungünstigen Bedingungen im Hilfesystem oft ein Problem darstellen. Aus diesem Grund haben wir im November bereits 124 Personen befragt, ob sie bestimmte Notunterkünfte meiden und warum. Die Antworten haben dazu veranlasst, das Thema mit Fokusgruppen speziell zu den Notunterkünften in Berlin weiter zu erforschen.
Standorte zwischen Februar und Mai 2023
- Klik e.V. (zwei Mal)
- Suppenküche Franziskanerkloster (zwei Mal)
- TagesTreff für Wohnungslose und Bedürftige
- Tagesstätte für Wohnungslose „Am Wassertor“
- Seeling Treff
- StreetWorkstatt Straßenkinder e.V.
- Ambulanz der Berliner Stadtmission
- Praxis am Stralauer Platz
- Frauentreff Olga
Ablauf der Treffen
Die Treffen finden mit einer Moderator:in und einer Assistenzperson statt, die das Gesagte auf einem Flipchart festhält. Beteiligt sind entweder Personen vom Team oder Freiwillige aus unserem Projekt. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde vom Team und den Teilnehmenden bitten wir bei jedem Treffen die Teilnehmer:innen (zwischen 3 und 8 Personen), uns ihre Meinung zu den positiven und negativen Faktoren der Notunterkünfte mitzuteilen und welche Vorschläge sie für mögliche Verbesserungen haben.
In der Regel haben wir Dolmetscher:innen für die gängigsten Sprachen dabei, ohne die wir keine so gründliche Arbeit leisten könnten. Wir versuchen aktiv ausländische Staatsangehörige, insbesondere solche ohne Deutsch- oder Englischkenntnissen, sowie Frauen, queere Menschen, Menschen mit Tieren, Menschen mit körperlichen Einschränkungen und junge Erwachsene zu erreichen. Aufgrund der Vielfalt dieser Gruppen wenden wir uns an verschiedene Einrichtungen und Organisationen. Obwohl es nicht einfach ist, alle zu erreichen, haben wir in den bisherigen fünf Sitzungen viele interessante Kommentare und Vorschläge von sehr unterschiedlichen Personen gesammelt.
Themen in den Gesprächen
Die immer wiederkehrenden Themen sind die Öffnungs- und Schließzeiten, die fehlende Privatsphäre, die mangelnden Kapazitäten der Sozialarbeiter:innen oder ihr Umgang und das Fehlen von Schließfächern. Auch das Zusammenleben mit Menschen, die an Alkoholismus, Drogenabhängigkeit oder psychischen Störungen leiden, wird oft als schwierig empfunden.
Neben den wiederkehrenden Themen erhalten wir neue Sichtweisen, wie z.B. die Idee, mehrere kleinere Notunterkünfte einzurichten, um den Bedürftigen eine bessere Auswahlmöglichkeit zu bieten. Oder dass Sozialarbeiter:innen besser geschult sein sollten, um alle Zielgruppen unterstützen zu können. Hierfür wäre mehr Geld notwendig. Auch das Vorhandensein von mindestens einer professionellen psychologischen Fachkraft in jeder Einrichtung wird als wichtig erachtet.
Ergebnisse
Insgesamt konnten wir 43 obdachlose Menschen in 11 Fokusgruppen befragen, davon:
- 10 Frauen
- 8 junge Menschen (U27)
- 29 Menschen ohne Deutschkenntnisse
- 2 Menschen mit körperlichen
Einschränkungen
- 2 Menschen mit Hunden
- 1 offen queere Person
Die Befragten waren überwiegend Menschen, die Erfahrung mit Notübernachtungen haben. Es waren aber auch Menschen unter den Befragten, die Notübernachtungen im Moment nicht nutzen bzw. aus bestimmten Gründen meiden.
Nach Abschluss der 11 Fokusgruppen-Gespräche haben wir die Protokolle transkribiert und anschließend von Dr. Klaus Mucha auswerten lassen. Dr.phil. Mucha arbeitet als Diplom-Psychologe in Berlin und bundesweit in verschiedenen Praxisfeldern: Beratung, Psychotherapie und Hochschulen. Bei „Zeit für Gespräche“ engagiert er sich ehrenamtlich und ist Mitglied im Fachbeirat.
In unserem zusammenfassenden Bericht legen wir die Ergebnisse dieser ersten „Zeit für Gespräche“-Fokusgruppen mit obdachlosen Menschen zum Thema Notübernachtungen vor.
Kurze Zusammenfassung der Ergebnisse
Positive Erfahrungen mit Notunterkünften werden nur wenig geäußert (33% der bewertenden Äußerungen und 15,5% aller Äußerungen). Entsprechend deutlich im Vordergrund stehen die negativen Äußerungen, die dreimal so häufig gemacht werden wie positive (302%) und einen Anteil an den Gesamtäußerungen haben von 75%. Sehr begrüßenswert ist die große Anzahl von Vorschlägen/
Forderungen.
Die vergleichsweise wenig positiven Äußerungen:
- Das gute Personal macht etwa ein Viertel der positiven Äußerungen aus.
- Der Gesamteindruck, Berlin/ Deutschland „kümmere“ sich, bildet jede fünfte positive Äußerung.
- Die Grundversorgung (Essen, Schlafen, Duschen) wird ebenfalls positiv wahrgenommen.
Die insgesamt überwiegenden negativen Äußerungen:
- Mit großem Abstand am häufigsten wird negativ von Erfahrungen mit dem Personal berichtet. Damit hängen auch 2. und 3. zusammen:
- Atmosphäre im Haus, Willkürlichkeit/ Undurchschaubarkeit von Hausregeln und Einlasskriterien bzw. -management.
- Der Umgang bzw. das Überfordertsein mit gesundheitlichen Problemen (insbesondere psychischen).
Die häufigsten Vorschläge/ Forderungen sind:
- Das Personal soll qualifiziert und auch besser bezahlt werden.
- Die Einrichtungen sollten unterscheidbare Profile entwickeln, Schwerpunkte herausbilden, sich spezialisieren.
- Die Öffnungszeiten sollten erweitert werden.
Diese Ergebnisse sind ein alarmierender Beleg für die Notwendigkeit der Verbesserung der Qualität der Notübernachtungen in Berlin. Die Fokusgruppen-Gespräche zeigen auch, wie wichtig es ist betroffene Menschen nach ihren Erfahrungen zu fragen und ihre Verbesserungsvorschläge in die Qualitätsentwicklung aufzunehmen. Sie sind daher auch Beleg für den Bedarf einer Selbstvertretung wie die Union für Obdachlosenrechte (UfO Berlin), um die vielen genannten Vorschläge und Forderungen an die Entscheidungsträger:innen der Wohnungsnotfallhilfe heranzutragen.