Wohnungslose Nachbar:innen willkommen heißen!
Am 23. März haben wir vom Projekt “Zeit der Solidarität“ die Veranstaltung „Wohnungslose Nachbar:innen willkommen heißen“ im Nachbarschaftsheim Neukölln organisiert.
Wir haben ausführlich darüber diskutiert, was Nachbarschaftsarbeit für wohnungslose Nachbar:innen leisten kann, welche Rahmenbedingungen es braucht und was bereits geschieht.
An der Veranstaltung nahmen 14 Nachbarschaftshäuser, Stadtteilzentren und anderen Einrichtungen (Stadtteilzentrum Stadtschloss Moabit, Nachbarschaftshaus Urbanstraße, Rabenhaus e.V., Nachbarschaftshaus RuDi, Kiek in e.V, Nachbarschaftsheim Schöneberg, Mehrgenerationshaus „Buntes Haus“, SPAX Fixpunkt e.V, Nachbarschaftshaus Neukölln, interkular, Stadtteilzentrum Friedrichshain, Stadtteilzentrum Neukölln Süd, Gemeinwesenverein Heerstr. Nord e.V., Stadtteilzentrum Steglitz) mit etwa 25 Gemeinwesenarbeiter:innen, etwa zehn Expert:innen in eigener Sache mit Obdachlosigkeitserfahrung, sowie Fachpersonen aus verwandten Bereichen teil.
Gute Praxis
Das Treffen begann mit Beispielen guter Praxis bei der Einbeziehung von wohnungslosen Menschen in die Gemeinwesenarbeit und Nachbarschaftsaktivitäten, beginnend mit der Erfahrung von Uwe Mehrtens, der sich schon seit Jahren aktiv im Stadtteilzentrum KREATIVHAUS des FiPP e.V. engagiert und damit bereits anfing, als er noch obdachlos war. Nach ein Cafe-Besuch fing er an, sich zu engagieren und wurde durch die damalige Leiterin mit verschiedenen Maßnahmen als Ehrenamtlicher ans Haus angedockt – mittlerweile arbeitet er als Haustechniker/Gartenbetreuer dort und leitet freiwillig ein Sprachcafé. Die Suche nach Beschäftigung, Ablenkung und Anbindung haben Uwe angetrieben. Aktive Netzwerkarbeit, Vertrauen, Geborgenheit, waren das A und O, durch Anstellung und aktive Betreuung, Beratung und teilweise sogar Unterschlupf hat ihm das Kreativhaus beim Weg aus der Obdachlosigkeit maßgeblich geholfen und war stets ein Anker und Zufluchtsort.
Das zweite Beispiel wurde von Marina Dias Weis und Kitty Sonay von interkular – Mobile Stadtteilarbeit vorgestellt. Die Angebote und Einrichtungen von interkular sind offen für alle Nachbar:innen. Seit letztem Jahr bietet das MoSt-Team Essen, Trinken und die Möglichkeit an, gemeinsam um eine Feuerstelle draußen zu verweilen. Seit diesem Januar findet dies sogar zweimal pro Woche an zwei Standorten statt. Hier kommt es regelmäßig zu Begegnungen mit obdachlosen Nachbar:innen. Durch lautes „Willkommen heißen“ wird signalisiert, dass alle Anwesenden willkommen sind und es wird die Haltung vorgelebt, dass alle Personen erwünscht sind. Mittlerweile kommen immer mehr bekannte Gesichter und es spricht sich herum. Das Angebot wurde auch angepasst an obdachlose Nachbar:innen, so gibt es jetzt auch die Ausgabe von Suppen statt nur einzelnen Lebensmitteln. Dias Weis und Sonay sagten, dass neue Menschen durch eine gute Vernetzung und insbesondere durch die Verbreitung des Angebots über Poster an öffentlichen Orten und Mundpropaganda erreicht werden können.
Anschließend ergriffen Nadin Wernicke und Guillaume Bazan vom MGH Hellersdorf-Nord mobile Stadtteilarbeit das Wort, um Ihre Arbeit und das “Bunte Haus” vorzustellen Im Haus sind alle willkommen, es gibt eine Kleiderkammer und Essensverteilung und beide Angebote sind auch draußen, denn schon die Tür ist manchmal ein Hindernis für Menschen beim Zugang zu Einrichtungen der Nachbarschaftsarbeit. Seit geraumer Zeit wird Vermittlungsarbeit an spezifische Träger und Hilfen geleistet, um obdachlose oder wohnungslose Besucher:innen bestmöglich zu unterstützen. Dabei gilt ein wichtiges Mantra: Jeder Mensch wird gleich behandelt, Es ist von entscheidender Bedeutung, diese Haltung vorzuleben und so ein Umfeld zu schaffen, das jedem Besucher und jeder Besucherin das Gefühl von Würde und Respekt vermittelt. Nur so kann ein vertrauensvolles Verhältnis aufgebaut werden, das den Betroffenen hilft, ihre Situation zu verbessern. Diese Herangehensweise ist ein wichtiger Schritt, um den Herausforderungen der Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit entgegenzuwirken und den Betroffenen eine Perspektive zu bieten.
Schließlich sprach Bahar Sanli vom Nachbarschaftshaus Urbanstraße über das Aktionsbündnis Solidarisches Kreuzberg. Mit solidarischen Aktionen, aus den Kiezen heraus, schafft das Aktionsbündnis im Austausch und in Zusammenarbeit mit Selbstvertretungsinitiativen und Vereinen sowie Initiativen aus der Obdachlosenhilfe Unterstützungsangebote für obdachlose Menschen. Ziel ist es, sich mit obdachlosen und wohnungslosen Menschen mit und ohne Migrations- oder Fluchtgeschichte zu solidarisieren, Missstände aufzuzeigen und ihren Kampf um ihren Anspruch auf menschenwürdiges Wohnen und um eine uneingeschränkte Gesundheitsversorgung zu unterstützen. So entstand zum Beispiel die Initiative „Auffüllorte für (heißes) Wasser“ um insbesondere während des Lockdowns ein Netz an Zugängen zu sauberem und auch heißem Wasser zu gewährleisten. Bei den Auffüllorten für heißes Wasser können Einrichtungen jeglicher Art im Kiez mitmachen, sich das kennzeichnende Schild ins Schaufenster oder die Tür hängen und so für obdachlose Nachbar:innen erkennbar sein, als ein Ort der ihnen kostenlos heißes Wasser im Winter und kaltes Wasser im Sommer zum Auffüllen anbietet.
Bei Fragen, Außerdem stellte Sanli die Arbeit des Bündnis KiezcouRage vor und deren Poster und Faltplakate mit den wichtigsten Tipps für Nachbar:innen zur Begegnung mit obdachlosen Menschen im Kiez.
Konzept und Diskussion
Einrichtungen der Nachbarschaftsarbeit sind offene Orte für alle. Das bedeutet, dass Nachbar:innen Zugang zu Veranstaltungen und Aktionen in den Einrichtungen haben sollten, einschließlich derjenigen, die wohnungslos sind. Um dies zu erreichen, müssen Nachbarschaftshäuser, Stadtteilzentren, Treffpunkte, usw. möglicherweise ihre Angebote anpassen, um wohnungslose Menschen im Kiez zu erreichen. Ziel ist es, gegen die Ausgrenzung von wohnungslosen Nachbar:innen anzukämpfen und sie in die Nachbarschaftsarbeit zu integrieren.
Die Öffnung der Nachbarschaftsarbeit für wohnungslose Menschen beginnt damit, ihnen menschlich und offen zu begegnen und ihnen zu zeigen, dass sie als Teil der Nachbarschaft angesehen werden. Darüber hinaus können niedrigschwellige Aktivitäten wie Wasser-Auffüllstationen, Sprachcafés, Hygiene-Möglichkeiten, Schließfächer und die Vermittlung von Angeboten anderer Einrichtungen angeboten werden. Komplexere Tätigkeiten umfassen die Sensibilisierung der Nachbarschaft, die Organisation von Veranstaltungen, die Gespräche mit Menschen mit Wohnungslosigkeit Erfahrung beinhalten, sowie Aufrufe in der Nachbarschaft zu starten.
Wir erörterten, wie unterschiedlich sich das Thema Obdachlosigkeit in den verschiedenen Kiezen darstellt, und betonten die Bedeutung der Prävention für Menschen, die noch nicht obdachlos sind, aber in sehr prekären Verhältnissen leben, sowie die Verschärfung der Wohnungsnot infolge der Pandemie.
Wir haben uns dann gefragt, ob das Ziel der Öffnung realisierbar ist und was gebraucht wird, um diese Öffnung zu ermöglichen.
Wir sprachen über die Rahmenbedingungen, die notwendig sind, um die fachliche und psychologische Unterstützung derjenigen zu gewährleisten, die diese Tätigkeiten ausüben. Supervision wäre zum Beispiel wichtig.
Eine bessere Finanzierung von Sachkosten und Personal, sowie ein fachlicher Austausch sind dringend notwendig.
Die Stadtteilhäuser und Stadtteilkulturzentren arbeiten grundsätzlich defizitär und müssen weit über ihre Aufgaben hinausgehen, weil die Mittel für hauptamtliches Personal fehlen. Es sollten Netzwerke geschaffen werden, vor allem in den Kiezen, um dann wiederum Vertreter aus ganz Berlin zu vernetzen.
Es wurde angeregt, politische Maßnahmen zu ergreifen, um Missstände aufzudecken. In diesem Zusammenhang könnten Kundgebungen und Positionspapiere hilfreich sein. Weiterhin wurde betont, dass die Menschlichkeit in unserer Gesellschaft zunehmend verloren geht und es daher wichtig ist, Zeit mit Menschen zu verbringen., dass die Sozialarbeit im Moment einen Ausgleich schaffen müsse für das, was in der Politik versäumt wird. Die Bedeutung der Mobilen Stadtteilarbeit und des Netzwerks der Wärme wurde ebenfalls angesprochen und dabei wurde auch die Unsicherheit über deren Zukunft unterstrichen.
Wir haben zwei Thementische aufgebaut, an denen wir mögliche Angebote, fachliche Aktivitäten, Rahmenbedingungen und Kooperationsformen der Mobilen Stadtteilarbeit und Stadtteilzentren und Nachbarschaftshäuser gesammelt und anschließend gemeinsam diskutiert haben. Dabei kamen viele weiter gute Ideen zusammen!
Feedback von den Expert:innen
Die Expert:innen in eigener Sache haben aus ihrer eigenen Erfahrung in den Wohnheimen und Unterkünften wichtige Perspektiven und Feedback eingebracht. Es wurde auf die Bedeutung einer besseren Übersicht über Hilfsangebote hingewiesen und die Idee vorgeschlagen, sich im jeweiligen Stadtbezirk an Unterkünfte und Wohnheime zu richten. Ein wichtiger Punkt war auch die Entlastung der Sozialarbeiter:innen durch den Einsatz von Ehrenamtlichen und die Anerkennung ihrer Rolle. Dabei wurde jedoch betont, dass eine fachliche Ausbildung und Supervision unerlässlich sind. Zur Sensibilisierung und Schulung von Ehrenamtlichen sollen MGH/STZ mehr Aufmerksamkeit auf das Thema lenken. Eine gute Diskussionskultur und der Austausch untereinander wurden als wichtige Maßnahmen für eine bessere Zusammenarbeit genannt. Die Expert:innen waren sich einig, dass Gespräche und Beziehungen wichtig sind, um den betroffenen Personen Halt zu geben und eine Tagesstruktur zu schaffen.
Wir bedanken uns noch einmal bei allen Teilnehmenden für Euer Engagement, vielen Ideen und ehrlichen Beiträgen!
Wir sind bereit, die nächsten Schritte gemeinsam zu gehen!